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Mövenpick
Zürich, Luzern, Bern
1948-1953

1948 entstand mit dem Claridenhof in Zürich das erste grosse Bürogebäude. Ueli Prager sah hier die Chance, ein Gastronomiekonzept für die grosse Zahl der Büroleute zu realisieren, was es bisher in Zürich nicht gab: Schnell etwas gutes essen. Er hatte gewusst, dass Otto Zollinger viel Erfahrung hatte im Bau von Schnellimbissgaststätten in Saarbrücken und kannte auch seinen modernen Architekturstil. Prager beauftragte Zollinger mit dem Innenausbau der ersten drei Mövenpicks in Zürich, Luzern und Bern. Ausser der Idee hatte Prager aber noch keinen Namen für die Restaurants. Zollinger ging oft zu Fuss von seinem Büro am Zeltweg über Bellevue und Quaibrücke zur Baustelle am Claridenhof. Dabei warf er gelegentlich Brotstücke an die Möwen, welche diese im Flug pickten. Und schon war der Vorschlag für einen Restaurantbegriff geboren: Mövenpick, wie die Möwen, welche schnell etwas feines picken. Prager war begeistert vom Namen, welcher dann aber mit V statt mit W verwendet wurde. Diese drei ersten Restaurants existieren nicht mehr, aber Mövenpick ist heute eine weltbekannte Marke.

Neuheit in der Schweiz: Bar zum Essen mit Drehstühlen
Wandmalerein von Freda Zollinger-Streiff
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Otto Zollinger, links

im Gespräch mit Ueli Prager

 

Im Jahre 1946 erfuhr Ueli Prager vom Projekt von Ernst Göhner: Auf der Toblerwiese beim Kongresshaus Zürich soll das grösste Bürohaus der Schweiz gebaut werden, mehr als 1000 Büroräume, 2500 arbeitende Menschen.

 

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Ueli Prager schreibt 1954 in seiner Schrift «Im Land der begrenzten Möglichkeiten»:

2500 Menschen in einem Block, 2500 Menschen einer besonderen Art, aufgeschlossen und weitherzig. Ebensosehr wie eine Landschaft Menschen formt, so müsste doch auch die Architektur und die Idee des Schöpfers eines solchen Hauses die Menschen und deren Mentalität beeinflussen. Gerade hier, mitten in neuzeitlichen Betrieben und unter modernen Menschen, würde sich vielleicht eine andere, bereits in der Luft liegende Lebensweise herauskristallisieren, etwas, das ich einfach als die Lebensweise der Grossstadt bezeichnen möchte. Englische Arbeitszeit, andere Ernährungswünsche, das könnten die Konsequenzen sein. Und müssten nicht gerade die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen dem Gastgewerbe, insbesondere den eigentlichen Verpflegungsstätten, Auftrieb und neue Möglichkeiten bringen? Vorausgesetzt, ja vorausgesetzt, dass sich das Gastgewerbe den neuen Anforderungen anzupassen versteht, den ganz spezifisch städtischen Anforderungen, den Ernährungswünschen der «white collar worker», der Arbeiter mit dem weissen Kragen, deren Arbeitsplatz das Schreibpult ist.

 

Und wie erinnern doch diese Zeilen von Ueli Prager an die Idee von Dr. Kanter und seine Gaststätten der Walsheim-Brauerei im Saarland. Und da gab es doch einen Architekten mit den entsprechenden Erfahrungen! Trotz Kriegsjahren dazwischen und dadurch Zerstörung der damaligen Gaststätten.

 

Weiter schreibt dann Ueli Prager:

Nachdem die Gesellschaft (für das Gastronomieprojekt im Claridenhof) gegründet war, brauchten wir einen Architekten. Durch einen glücklichen Zufall lernte ich in dieser Zeit Otto Zollinger kennen, der in der Folge drei der fünf «Mövenpicks» schuf. Die meisten seiner früheren Schöpfungen fanden entweder volle Zustimmung oder heftige Ablehnung. Charakteristisch für diesen kühnen Architekten ist, dass er einmal ein Projekt für ein Hotel in Jugoslawien (Split) ausarbeitete, das im Souterrrain eine Unterwasser-Bar besass, d.h. ein Lokal, wo man durch grosse Scheiben das Treiben der Meerfische hätte beobachten können.

Trotz des grossen Altersunterschiedes - Zollinger war schon über sechzig – lernten wir uns rasch verstehen. Bei aller charakterlichen Verschiedenheit redeten wir die gleiche Sprache. Auf meine Anschauungen hat er einen grossen Einfluss ausgeübt. Der Name «Mövenpick» war eine «trouvaille» von ihm. Beim Spaziergang über die Quaibrücke pickte ihm eine Möwe ein Stück Brot aus der Hand und der Name «Mövenpick» (vielleicht aus graphischen oder markenrechtlichen Gründen mit v statt w) war geboren. Die meisten Leute, die wir befragten, lehnten ihn als lächerlich und unseriös ab. Ich betrachtete es aber als symbolhafte Bezeichnung für das, war wie bieten, wie wir es bieten und wo wir es bieten wollten – nämlich in Zürich. Im neu entstehenden Betrieb sollte sich auf elegante Weise gleichsam im Flug etwas picken lassen. Heute weiss ich auch, dass dieser Name vom Werbestandpunkt aus von unschätzbarem Wert für mich ist.

 

1948 war die Eröffnung im Claridenhof. In der erwähnten Schrift von 1954 gibt Ueli Prager viele interessante Einblicke in die Entstehungszeit von Mövenpick, von seinem Werdegang in der Gastronomie, die Idee zu Mövenpick, die Finanzierung, die Sorgen, die Planung des Angebots, die Organisation von Küche und Service, das Marketing usw. All dies gehört nicht zum Thema des Werkes von Otto Zollinger. Aber einen Ausschnitt möchte ich schon noch wiedergeben:

Im Laufe der Fertigstellung (vom Claridenhof) hatte sich gezeigt, dass das Budget nicht ausgeglichen und dass der Kostenvoranschlag weit überschritten war. Architekt Zollinger interessierte sich mehr für die künstlerische und technische Seite. Den geschäftlichen Teil überliess er mir und ich hatte damals einfach zu wenig Erfahrung.

Und Pierre Itor schreibt in seinem Buch «Ueli Pragers Mövenpick Story» (Quellennachweis):

Als Architekt der ersten Mövenpicks zeichnet Otto Zollinger, ein Sechziger, der allerdings punkto Originalität und jugendlicher Dynamik manchen halb so alten in den Schatten stellt. Prager schätzt den väterlichen Freund. Sie sprechen die gleiche Sprache.

Neuheit in der Schweiz: Meeresfrüchte an der Bar

 

Mövenpick Claridenhof Zürich

Ca. 1955 verfasste Zollinger seine Schrift «Mövenpick – ein Restaurantbegriff». Anfangs schildert er den Neubau der Walsheimbrauerei und die daraus resultierenden Gaststätten für die Konsum- und Lebensgewohnheiten im Saarland. Dann schreibt er weiter zum ersten Betrieb am Claridenhof Zürich:

Aehnlich wie Dr. Kanter in Saarbrücken ersann Ueli Prager seine Mövenpicks für die Menschen der modernen Grossstadt. Am 5. Juli 1948 nahm vom Geschäftshaus Claridenhof aus die Idee der neuen Wirtschaftsart mit Name und gleichsam ersten Entwurf für die architektonische Gestaltung der Mövenpicks ihren Start.

Für die Idee der «aufgelockerten Betriebsführung» sollte gleichermassen der psychologische Rahmen geschaffen werden, eine Raumgestaltung frei aller dogmatischen Einengung mit Heimatstil und Sennenemblemen, ohne das Gedusel mit Stilelementen aller Louis und Namen der Weltstätte.

Die Mövenpicks, Inspirationen aus Zufällen und Einfällen, haben sich seit ihrem Start in mannigfaltiger Hinsicht weiterentwickelt, picken fort und fort im Wechsel der Einfälle, gleichsam mit ihres Wappenvogels Kapriolen die Mentalität der Gäste und deren kulinarischen Bedürfnisse; sie sind so recht zu einem Begriff geworden, ein Hauch des grossen Atems, der Verkehr heisst, und oft wohl blitzt irgendwo im fernen Lande eine Erinnerung an die Mövenpickatmosphäre in lächelnden Mundwinkeln.

Mövenpick-Charakteristiken: Der Gast hält sich nicht an zusammengestellte Menues, sondern stellt selbst zusammen was ihn gelüstet. Einstellung auf Spezialitäten nach Kreationen der eigenen Köche, wie auch aus Küchen des Auslandes.

Der «Mövenpicklärm» - er ist der Gradmesser der Frequenz – soll man ihn dämmen oder nicht? (Viele Gäste Ja – mehr Nein). Denn von vielen Gästen wird angenehm empfunden, dass man Gespräche führen kann, ohne ringsherum gehört  zu werden – ja in Bern findet ein bekannter Schriftsteller oft seine beste Konzentration einsam unter vielen.

Mövenpick Luzern

Zum Betrieb in Luzern schreibt Zollinger in seiner Schrift weiter:

Das Mövenpick im Haus zum Rosengarten am Grendel Luzern ist die vierte von drei «ältern» Schwestern im Claridenhof, an der Sihlporte und am Paradeplatz in Zürich. «Aelter» setzen wir in Anführungszeichen, weil von alt natürlich bei allen vieren nicht die Rede sein kann. Vielmehr ist der gastgewerbliche Begriff Mövenpick - innert kürzester Zeit erst eigentlich zum Begriff geworden – in mancher Hinsicht eine Neuschöpfung, eine Erfindung allerdings, die irgendwie fällig war. Bloss dass es eben jemand brauchte, der sie machte und mit Umsicht und Energie verwirklichte. Zwei geistige Väger sind da zu nennen: Ueli Prager, der heute knapp 34jährige Restaurateur, frühere Concoursreiter und vielgereiste Sportsman und Otto Zollinger, ein bedeutend älteres Semester, aber ein künstlerisch begabter, ideensprühender Architekt, der nicht um die 40, 50 herum stagnierte, sondern stets vorwärtsstürmte, es mit den Jungen hielt.

 

Weiter schreibt Otto Zollinger:

Trotzdem: es ist schwer, wenn nicht fast unmöglich, mit ein paar Zeilen eine Definition dessen zu geben, was das Mövenpick ist. Oberflächliche Betrachter sprechen gern von einem Ableger der amerikanischen «Snack-Bars», was den Tatsachen nicht entspricht. Es ist auch weder ein Restaurant im alten Stil noch ein Tea Room noch ein Selbstbedienungslokal. Es wäre ebenso unrichtig, das Mövenpick als Barbetrieb zu bezeichnen. Gewiss, es ist von allen diesen Formen etwas da; aber die Novität besteht nicht darin, dass man die Elemente anderer Gaststätten einfach übernommen und in einen einzigen Betrieb in verschiedenen Lokalen untergebracht hätte. Nein, diese verschiedenen Stilelemente sind gewissermassen in einer Retorte gemischt und mit neuen Ideen bereichert worden, und was herausgekommen ist, das kann als ganz neue Form bezeichnet werden, eben als typischen Mövenpick-Stil.

Das Luzerner Mövenpick enthält im vorderen Teil eine lange, schleifenförmig geschwungene Bar, an der, und das ist in unsern Breiten etwas Neues, auf festen, gepolsterten Drehstühlen sitzend, mehr gegessen als getrunken wird. Und man sitzt nicht nur nebeneinander, sondern – mit Achtungsabstand – sich auch gegenüber. Innerhalb der Barschleife eilt das in lichtblaue Jacketts und Schürzen gekleidete Personal geschäftig hin und her; ihm bei seinen Handreichungen zuzuschauen oder von einem besonders hübschen Gegenüber gelegentlich einen Blick zu erhaschen, verkurzweilt das Essen und steigert den Appetit, abgesehen davon, dass das Gespräch an dieser hochmodernen, mit allen technischen Raffinessen griffbereit ausgerüsteten Tafelschleife sehr rasch in Fluss kommt, dass man aber auch schweigen und beobachten kann, sofern einem das besser passt.

Das Office (Buffet) ist unmittelbar an die Barschleife angeschlossen und öffnet sich gegen das Restaurant, dessen originelle Tischgruppen und Nischen sich von um die Mövenpick-Bar herum den Wänden entlang gruppieren und bei warmer Jahreszeit über das versenkbare Fenster hinaus bis an den Rand des Trottoirs treten. Im hinteren Teil, leicht erhöht, ist der Raum wieder anders, mehr im Tea-Room-Genre ausgestaltet, wiewohl auch hier die Möglichkeit besteht, grössere Tischgesellschaften zu setzen.

Die ganze -Einrichtung blitzt vor Sauberkeit. Dem Weiss, dem lichten Kanariengelb oder wieder dem Bläulich-Lachsrot der Plastikpolster setzt etwa das Karminrot einer Raumecke oder wieder das Schwarz einer Säule die kräftigen Kontraste. Und es fehlt auch nicht am künstlerischen Schmuck: Graphiker und Maler Häfelfinger setzte in genialer Art doch gleichzeitig mühevoler Kleinarbeit farbige Mosaiken aus verschiedenartigsten Materialien, Spiegeln, Plättchen, Scherben und bunten Steinen zusammen, die bildlich Bezug nehmen auf die Inhalte des Mövenpick und einen dezenten Humor ausstrahlen.

Am Material, an der technischen sowohl wie der innenarchitektonischen Einrichtung wurde wahrhaftig nicht gespart, insbesondere auch im «Bierhock» nicht, einer Art Hinterstübchen, mit seinen fünfeckigen Tischen, seinem figural gekachelten Ofen und seinen Keramiken: dem Fisch und der (gestreckten) Katze, seinem lustigen «Wurstturm», seinem Fassausschank und seinen antikverglasten Fenstern, wovon eines sich auf das vordere Restaurant öffnet.

 

Abschliessend schreibt Otto Zollinger:

Alles in allem aber ist festzustellen, dass das Luzerner Mövenpick wohl aufs raffinierteste eingerichtet, jedoch kein Luxusrestaurant ist im üblichen Sinn; die Gäste gehören nicht einer bestimmten Schicht an, sondern es sind alle Schichten, die hier einkehren.

Mövenpick Bern

Zum Mövenpick in Bern, welches 1953 eröffnet, schreibt Otto Zollinger weiter:

Es könnte ebensgut in Mailand sein; oder in Paris … kurzum, eigentlich überall, wo der Puls des modernen Lebens schlägt. Dieses angenehmer zu gestalten, ist sein eigentlicher Sinn. Als Ueli Prager das erste Restaurant Mövenpick in Zürich ins Leben rief, schwebte ihm etwas ganz Bestimmtes vor. Er wollte all denen, die wenig Zeit für ihr Essen zur Verfügung haben, sich aber trotzdem an einem erlesenen Leckerbissen, der soginiert zubereitet und serviert wird, erfreuen, eine besondere Art von Gaststätte schaffen. Dass der Versuch grossartig ausfiel, beweisen die drei Mövenpicks in Zürich, jenes in Luzern und das letzte in Bern, das im Nu die Sympathien der Berner gewann. Alles kam zur Verwirklichung, was Ueli Prager sich für den Charakter der Mövenpicks gewünscht hatte. Jedermann sollte sich wohl in ihnen fühlen, die Clientèle darf alle Gesellschaftsschichten umfassen. Die breite Bar bildet keine Exklusivität, sie lockt alle an, sich an sie zu setzen. Und es ist auch höchst interessant, wie rasch die Berner diese besondere Art der «Bar-Verpflegung» zu eigen gemacht haben. Da sitzt eine alte Dame vor Ihrem «Espresso», daneben der Stift aus dem grossen Bürohaus, der Kunstmaler genehmigt seinen Apéro und zwei elegante Damen nippen an ihrem Fruchtjus.

 

Immerzu herrscht ein ständiges Gehen und Kommen. Man kann alles haben, Austern mit französischem Weisswein, Wienerli mit Kartoffelsalat, nur ein Bier oder ein Glas Milch. Man kann sich an Hummer und Scampis vergnügen, auch wenn man bloss eine halbe Stunde Zeit dafür hat und nur den Arbeitsveston trägt oder das Polohemd.

Architekt Otto Zollinger, der auch zwei der anderen Mövenpicks geschaffen hat, gab ihnen eine ganz besondere, spezifische Atmosphäre, die besondern im bernischen Betrieb unverkennbar ist. Es gibt keine Lärmisolation; «das Leben geht weiter» möchte man sagen. Irgendwie ist dieser Lärm erheiternd – und appetitanregend. Der Raum und die Inneneinrichtung lockern und entspannen. Weiche, gebrochene Farben wurden gewählt, die sich dem Raum unterordnen und das Auge nicht beherrschen. Die hübschen, mit Kunstleder bezogenen Stühle sind äusserts bequem, trotz der zierlichen Form, die Beleuchtungskörper amüsant und angenehm.

Neuheit in der Schweiz: Stehtische zum Essen
hl Ueli Prager / vr  Otto Zollinger
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