Lebenslauf
1903-1907 machte Otto Zollinger eine Zeichner-Lehre im angesehenen Zürcher Architekturbüro Chiodera und Tschudy. 1908/09 überwachte er in Rom für dieses Büro den Bau des Palazzo Lecca-Dugacini. Bereits im Alter von 24 Jahren eröffnete Zollinger sein eigenes Architekturbüro in Zürich, obwohl er sich zeitlebens als Autodidakt bezeichnete und nie eine Architekturschule besuchte, sowie andere berühmte Architekten der Zeit auch – wie Peter Behrens, in dem Zollinger ein Vorbild sah, oder Mies von der Rohe, um nur diese beiden zu nennen.
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Sein erster Bau war 1909 der Ausbau der mittelalterlichen Wasserburg Schloss Hülchrath, zusammen mit seinem damaligen Architektenpartner Alwin Spengler. Ab 1910 bis 1920 tat Zollinger sich hervor mit dem Bau oder Umbau einer beträchtlichen Anzahl von zum Teil exklusiven Villen im Raum Zürich, die durchwegs dem Geschmack seiner Zeit, dem Heimatstil mit historistischen Ansätzen, verpflichtet waren. Die älteste davon noch erhaltene Villa ist das 1912 erbaute Haus Faller an der Goldauerstrasse in Zürich.
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Schon 1912 beteiligte sich Zollinger am Wettbewerb für ein Schweizer Nationaldenkmal in Schwyz. Die Gesamtgestaltung seines prämierten Beitrages wurde dann aber nicht für eine weitere Bearbeitung ausgewählt. Erfolgreicher war er 1922 mit dem ersten Platz im Wettbewerb für das Wehrmänner-Denkmal auf der Forch für die im Aktivdienst gestorbenen Wehrmänner des Kantons Zürich.
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In den Jahren während und nach dem Ersten Weltkrieg stagnierte die schweizerische Volkswirtschaft, es mangelte an Bauaufträgen. Am Zeltweg 74 in Zürich, wo sich jetzt sein Büro befand, veranstaltete er Ausstellungen für Inneneinrichtungen, Kunstwerke und Dekorationen von Künstlern und betrieb eine private Kunstschule. Seine Schülerin Freda Streiff wurde später seine zweite Ehefrau. In dieser Zeit betätigte er sich auch als Bühnenbildner für das Schauspielhaus und das Stadttheater Zürich und sogar als Choreograph für Feuerwerke an zwei Seenachtsfesten in Zürich. Zudem war er Aussteller für Inneneinrichtungen im Kunstgewerbemuseum Zürich und Palais de Beaulieu Lausanne. Als Architekt kamen in dieser Zeit keine grossen Aufträge, aber er beteiligte sich an mehreren Wettbewerben für Kirchenprojekte, wo er expressionistische Vorschläge für grosse Rundkirchen einreichte, welche aber alle nicht realisiert wurden mit Ausnahme der Renovation der Kirche in seinem Geburts- und Heimatort Fällanden.
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Zollinger selbst bezeichnete es als einen Zufall, dass seine Aufmerksamkeit in dieser Zeit auf das Saargebiet fiel, das nach dem Krieg auf 15 Jahre vom Deutschen Reich abgetrennt und durch den Völkerbund verwaltet wurde. 1924 eröffnete er sein Architekturbüro in Saarbrücken. An seinem neuen Wohnort war Zollinger nicht minder erfolgreich: Er beschäftigte sich mit diversen Innen-Umbauten im Stil des Art déco – u.a. 1926 das Geschäftshaus Kahn, Konfektion und Schuhwaren, und 1924-1926 die Innenausbauten vom Haus Herz und anderer. Weitere repräsentative Verkaufslokale waren die Schuhgeschäfte Bata und Spier und als Glanzlicht das Geschäftshaus Overbeck, Herrenmode. Obwohl er in Saarbrücken schon früh mit der Bewegung des Neuen Bauens in Kontakt kam, brach er nicht mit den traditionalistischen Strömungen. Zollingers Architektur entwickelte nun hin zu einer gemässigten Moderne im Sinne des Neuen Bauens, mitunter näherten sich seine Entwürfe auch der radikalen Linie des Bauhauses an. Interessant aus dieser Zeit ist das Haus der Arbeiterwohlfahrt Saarbrücken.
Eigentlich bezeichnet das Jahr 1929 einen Wendepunk im Werk von Otto Zollinger. Der Einfluss der Moderne manifestiert sich nicht nur bei der Villa Streiff in Küsnacht, sondern auch beim Kursaal Lido in Ascona und beim Seebad in Vevey-Corseaux, welche er von Saarbrücken aus realisierte. Eine Zeitzeugin des Neuen Bauens ist auch die 1928 von Zollinger ausgeführte Erweiterung der Walsheim-Brauerei nähe Saarbrücken.
Zu jener Zeit baute die Walsheim-Brauerei auch ein Netz an Schnellgaststätten auf um den eigenen Bierausschank zu fördern. Sowohl für diese Brauerei als auch für andere Bauherren realisierte Zollinger viele solche Gaststätten im Saarland und in Lothringen, insbesondere den Innenausbau: Tanzdiele Monopol und Rheinischer Hof (beide mit Wandmalereien von Freda Zollinger-Streiff) und viele andere. Diese damals sehr modernen, urbanen Gaststätten wurden dann auch zum Grundstein für seine späteren Aufträge bei den Mövenpick-Restaurants.
Innenraumgestaltungen und Möbelentwürfe waren in allen Schaffensphasen Zollingers ein wichtiges Betätigungsfeld. In den von Zollinger zu jener Zeit entworfenen Häusern, welche die Formenspraches des Neuen Bauens atmeten, gelang ihm nicht nur die Uebereinstimmung von Raum und Inneneinrichtung, sondern auch die mit dem gesamten Bau: Innen und Aussen bildeten eine Einheit. Diese Tatsache gilt auch ebenso sowohl für die frühe Phase des Heimatstils als auch auch nach seiner Rückkehr in die Schweiz nach dem zweiten Weltkrieg. Da alles aus jenen Zeiten nur mit Schwarzweiss-Fotos dokumentiert ist, müssen wir uns die grosse farbliche Vielfalt durch die Farbbeschreibungen Zollingers oder in den Fachzeitschriften vorstellen.
Während Zollingers Saarbrückner Zeit entwarf oder realisierte auch viele Projekte zum Teil weit weg, so in der Schweiz die schon erwähnten Villa Streiff in Küsnacht, Casino Kursaal Lido Ascona, Vevey-Corseaux-Plage. Dazu kamen, leider nicht realisierte Grossprojekte für Hotels in Cannes, Split (Dalmatien) und anderswo – alle inklusive Rentabilitätsberechnungen für die Bauherrn oder Investoren.
Im Saarland wurde leider im zweiten Weltkrieg viel zerstört und es sind nur noch wenige Werke Zollingers bestehen geblieben, in erster Linie einige private Wohnhäuser, als Glanzlichter die teilweise Inneneinrichtung im Haus Herz, das Haus Hannig in Ensdorf (heute aussen frisch renoviert aber die Innenräume nicht mehr original) und das Haus Schock, Metz (vom heutigen Inhaber liebevoll geschätzt und gepflegt).
1945, nach dem Krieg, kehrte Otto Zollinger mit seiner dritten Ehefrau Helene zurück in die Schweiz und konnte wiederum sein Büro im Haus Zeltweg 74 beziehen, welches immer noch im Besitz von Freda-Zollinger-Streiff stand. Sie schaffte viele Innen-Dekorationsmalereien, insbesondere in Gaststätten im Saarland, wie schon erwähnt, und später auch in den ersten Mövenpicks.
Von 1948 bis 1958 war Mövenpick eine sehr wichtige Schaffensphase von Otto Zollinger. Für Ueli Prager erfand er einerseits den Namen Mövenpick und andererseits war er verantwortlich für die Architektur sämtlicher Innenausbauten und Inneneinrichtungen, welche damals in der Schweiz neuartig, einzigartig und richtungsweisend waren. Auch hier schuf Freda Zollinger-Streiff viele Wandmalereien. Ausser Schwarzweiss-Fotos existiert leider nichts mehr – die Gastronomie muss sich stets dem Wandel der Zeit anpassen um erfolgreich zu bleiben.
Hauptwerke parallel zu Mövenpick und in den 50er-Jahren sind das Schwimmbad Adliswil, das Haus für Freda Zollinger-Streiff in Küsnacht, die Luftseilbahn Adliswil-Felsenegg.
Zollinger wurde am 6.5.1886 in Fällanden geboren, Name und Beruf des Vaters sind unbekannt, die Mutter, Anna Zollinger, war Näherin. Nach ihrem frühen Tod erzog ihn der Dorfpfarrer - deshalb vielleicht seine Sensibilität für Kirchenprojekte. Keine dieser expressionistischen Rundkirchen wurde aber realisiert: Solothurn 1916, Arbon 1921, Dietikon 1923, Saarbrücken 1926 – wenigsten konnte er das Kirchlein seines Geburtsortes Fällanden 1920 renovieren.
Im Jahre 1908 heiratete er Anna Ida Dättwiler und aus dieser Ehe stammten die Tochter Margrit und der Sohn Ingo (mein Götti), beide verstorben ohne Nachkommen.
1919 heiratete er Freda Streiff, eine seiner Schülerinnen in seiner Kunstschule am Zeltweg 74. Aus dieser Ehe stammte die Tochter Eliann Maurer-Zollinger, meine Mutter.
1943 heiratete er Helene Golnhofer, welche schon vor dem Krieg in seinem Büro Saarbrücken arbeitete. Sie stammte aus Obersdorf im Allgäu, wohin sie übersiedelten nach der Evakuation von Saarbrücken 1939. Im Jahre 1955 wurde sie die Gotte meiner Schwester Anja Maurer.
Für mich als Enkel (geb. 1953) und damals Bub war es schön, alle drei Ehefrauen gekannt zu haben und festzustellen, dass weiterhin freundschaftliche Beziehungen und familäre Treffen möglich waren. Auch während der Ehe mit Helene schuf meine Grossmutter Freda weiterhin diverse Wandmalereien in den Mövenpicks.
Verstorben ist Otto Zollinger am 22.4.1970 in Adliswil, wo er ein selbstentworfenes Einfamilienhaus bewohnte im Quartier Hündlistrasse (heute neu überbaut). Die Gemeinde Adliswil wurde zu seinem Lebensmittelpunkt. Hier hatte er neben dem Schwimmbad (ursprüngliches Garderobenhaus mit gewächshausähnlicher Fensterfassade noch erhalten aber vernachlässigt, heute Therapiepraxis) und der Tal- und Bergstation der Felseneggbahn (heute schön renoviert unter Respektierung des Ursprungs) auch weitere diverse Aufträge erhalten für Privathäuser und auch Grossüberbauungen mit Mietwohnungen, Projekte für die Zentrumsgestaltung und für ein Hotel (beide nicht ausgeführt) sowie für die Kirchgemeinde mit der (damaligen) Abdankungshalle (heute Helen Dahm-Haus mit Fresken der befreundeten Künstlerin, Gesamteindruck heute leider vernachlässigt).
Von Zollingers Schaffen in der Schweiz ist die Villa Streiff in Küsnacht durch die Vorgaben der Denkmalpflege im Aeusseren vollständig und im Innern teilweise erhalten und gilt als ein Hauptwerk. Auch das Casino Kursaal Lido Ascona (heute Delta Beach Lounge) zeigt sich mit den Renovationen und Umbauten wunderschön und der Kenner kann Otto Zollingers Handschrift erkennen. Beim Strandbad Vevey-Corseaux-Plage kann man trotz Umbauten noch das Bijoux von Otto Zollinger deutlich sehen. Alle diese drei Gebäude sind im Baustil Neues Bauen. Im Heimatstil und ebenfalls denkmalgeschützt ist das Haus Faller an der Goldauerstrasse in Zürich - es ist mit Baujahr 1912 das älteste erhaltene Haus Zollingers und wird von den heutigen Besitzern gepflegt und geschätzt.
Das wertvollste erhaltene Objekt im Ausland ist die Villa Schock in Metz, Frankreich. Der Privatbesitzer ist sich des Erbes bewusst und pflegt es. Dank ihm gibt es dort sogar eine «Rue Otto Zollinger».
Das besterhaltene, eindrücklichste und für jedermann/frau sichtbare und betretbare Werk ist das Wehrmännerdenkmal auf der Forch. Hier ist auch der Erhalt durch die Oeffentlichkeit gesichert und ein würdiger Gedenkort für Otto Zollinger.
Thommi Maurer, Enkel